“Sisyphos, der ohnmächtige und rebellische Prolet der Götter, kennt das ganze Ausmaß seiner unseligen Lage: über sie denkt er während des Abstieges nach. Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden kann… Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.”
Albert Camus
Im Dezember 2022 haben wir uns erstmals öffentlich mit dem Kommuniqué Numero Zero zu Wort gemeldet. Nun wenden wir uns erneut an Euch, nach weiteren Treffen und Diskussionen. Die Zeiten sind in den letzten Monaten nicht leichter geworden, die kapitalistischen Metastasen breiten sich weiter aus und die Taktrate der Streiche des Kapitals werden intensiver. Wege in diesem Land zu suchen, sich antagonistisch im Verhältnis zu einem übermächtig erscheinenden Gegner zu finden und zu organisieren, werden dadurch nicht leichter. Die diversen Wurmfortsätze der geschichtlich gescheiterten Linken sind nur noch in der Lage, Niederlagen zu organisieren, die dann im Nachhinein zu Siegen uminterpretiert werden, wie die Mobilisierung nach Lützerath oder jüngst zum 1. Mai. Es fehlt weiterhin an allem. Fundierten Analysen, praktischer Organisierung, der Fähigkeit strategische Interventionen überhaupt zu denken. Identitätspolitik, eine rigide Sprachpolitik, das Vegetieren in selbstreferentiellen Blasen, ersticken alle Ansätze zu einer selbstkritischen Bestandsaufnahme. Die Unaufrichtigkeit, die eigene Unterstützung für den repressiven Corona Ausnahmezustand zu hinterfragen, bedeutet den letzten Sargnagel für diese geschichtliche Sackgasse.
“Sowohl 1914 als auch 2020 hat die Linke die Situation verraten und der Macht Treue geschworen. Aus ihrer Sicht lässt sich die Welt auf die beiden Axiome Regierende – Regierte reduzieren. Noch heute findet man diese alte Leier – die systemkritischen Radikalen an vorderster Front -, um die Macht zu verteidigen, indem sie Lockdown und Impfung loben, ein subtiles Zeichen ihrer Treue zur Macht unter dem Vorwand, die Armen zu verteidigen, die sie verachten und infantilisieren. Je mehr die soziale Welt implodiert, desto mehr beschwört die Linke im Herzen: „Man muss die Gesellschaft verteidigen“. Kurz gesagt: die Lüge verteidigen, die Macht verteidigen, durch verschiedene moralistische und schuldbewusste Rituale dafür sorgen, dass nichts passiert. So operiert die Partei der Vernunft, die darauf hofft, uns zu erziehen.”
Ezra Riquelme – Die Linke besiegen (Deutsche Übersetzung)
Jenseits der Winterpaläste und des großen Streiks
[Diskutiert und geschrieben vor den Unruhen nach dem polizeilichen Todesschuss für den 17jährigen Nahel und den anschließenden Unruhen. Wobei die jüngsten Geschehnisse die folgenden Zeilen im Nachhinein noch einmal bestätigen]
Ohne Zweifel sind in den letzten Monaten in Frankreich Dinge passiert, die unsere vollkommene Aufmerksamkeit benötigen. Das größte Problem ist aber vielleicht, dass es an geeignetem Werkzeug fehlt, sich überhaupt einen Begriff davon zu erarbeiten, was sich real ereignet. Vergessen wir die ganzen langweiligen Gewerkschaftsumzüge, die Imagination der Arbeitereinheitsfront in Form der Intersyndicale, das ganze Gerede vom Generalstreik.
Vergessen wir nicht, dass die Mobilisierung gegen Macrons “Rentenreform” gerade dabei war zu implodieren, ohne tiefe gesellschaftliche Narben zu hinterlassen, als der republikanische Kaiser beschloss, dass man auch ohne Kleider herrschen kann, und selbstherrlich seinen Gesetzesentwurf per Dekret durchsetzen wollte. Die folgende Explosion auf den Straßen mag uns wieder einmal in Erinnerung rufen, dass gesellschaftliche Entwicklungen nicht primär linear und berechenbar innerhalb objektiver Kräfteverhältnisse verlaufen, sondern sich die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Eruptionen aus Wut, Überdruß, Hass, aus dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, aus einem Feuerwerk der Afffekte, speisen. Jene Schwachstelle aller kybernetischen Herrschaftskontrollmechnismen ebenso wie aller Politikansätze aller selbsternannten Anführer, die immer sofort bereitstehen, die Revolte zu beerben und die Wut zu kanalisieren und in ein modernisiertes Herrschaftsprojekt zu überführen,jenseits aller Fassbarkeit entstehen jene Orte der Revolte, die in sich die Fähigkeit des grundsätzlichen Umsturzes tragen.
Dennoch macht es Sinn, ein paar grundsätzliche Probleme der Revolte in Frankreich zu skizzieren, weil sich in ihnen viele grundsätzliche strategische Begrenzungen wiederfinden. Zum ersten handelt es sich um einen “Abwehrkampf” der auf traditionelle Art und Weise organisierten “alten Arbeiterklasse”. Wirklich relevante Arbeitsniederlegungen fanden nur im “öffentlichen” Bereich statt, in dem der gewerkschaftliche Organisationsgrad überhaupt noch nennenswert vorhanden ist (Müllabfuhr, Strom -und Energieversorger, Lehrerschaft, Eisenbahn, Nahverkehr Paris, Häfen,…). Wenn auch im Kern, spätestens mit dem Scheitern aller Integrationsversuche durch den Weg des Dekrets (der auch alle relevanten Gespräche Gewerkschaften/Regierung obsolet machte) die Bewegung zu einer ‚Non Bewegung‘ diffundierte, die als Horizont nur noch “Das Volk will den Sturz des Regimes” und “Revolution” als “Parolen”, nicht als “Forderungen” kannte, fehlte ihr jene umstürzlichere Brillianz “den Himmel zu stürmen”, die die Bewegung der “Barbaren der Gilets Jaunes” auszeichnete.
Außerdem verhinderte die (fast) ausschließliche Mobilisierungsfähigkeit innerhalb der “alten Arbeiterklasse” (zu der bei den Demos, nächtlichen manifs sauvage, den Blockaden und teilweise auch bei den Streikposten die “politischen Aktivisten [jeglicher Colour, von Trotzkisten bis ‘Autonome’] stoßen) den Schulterschluss mit dem migrantischen Surplusproleriat, das (insbesondere in den Banlieues) über eine lange Kampferfahrung verfügt. Nur wenige Segmente des rassistisch ausgegrenzten “schwarzen Frankreichs” beteiligten sich an den Kämpfen, während es z.B. während der Fussball WM zu diversen spontanen Aufläufen und Riots des “schwarzen Frankreichs” kam, es regelmäßig in den Vororten zu Hinterhalten und Angriffen auf den Repressionsapparat kommt, der derzeit der einzige Garant des Fortbestehens des Macron Regimes zu sein scheint.
Hätte es nicht gelingen müssen, sich permanente Orte des Diskurses und der Organisierung zu schaffen. Einige wenige Besetzungsversuche wurden von den Bullen sehr schnell beendet, bzw. stießen auf geringe Resonanz. Auch völlig ungeklärt blieb die Frage der notwendigen Repräsentanz. Da die alte Gewerkschaftshierarchie im Verlauf der Bewegung immer mehr an Einfluß verlor, hätten, in welcher Form auch immer, vielleicht Rätestrukturen (in welcher Form auch immer) eine mögliche Perspektive geboten? Aber vielleicht sind das auch noch alte Phantasien einer alten Linken. Wie dem auch sei: Da aber ihre mögliche Zusammensetzung ebenso ungeklärt blieb wie ihr Zustandekommen, der Konflikt aber nicht eine solche Zuspitzung mit sich brachte, das, in welcher Form auch immer, vom Feind nicht mehr (vollständig) kontrollierte Territorien (Orte, die nicht rein räumlich gedacht definiert sind) errichtet werden konnten (welche wiederum in den gescheiterten Besetzungen vielleicht ihren Ort hätten finden können), blieb es bei regional begrenzten Strukturen von Austausch und Organisierung, meistens auf die unmittelbare Zukünftigkeit reduziert. Auffallend ist auch, dass die Anzahl von analytischen Beiträgen zur strategischen Ausrichtung der Bewegung gegen Macrons ‚Rentenreform‘ überschaubar in ihrer Zahl und Qualität blieben, wenn man die getätigten Veröffentlichungen ins Verhältnis zum Umfang und der Radikalität der Bewegung setzt.
Die Situation schreit geradezu nach dem qualitativen Sprung, aber die die Bewegung ist sich ihrer selbst nicht bewusst genug, um die Zuspitzung zu wagen und zu organisieren.
Imperiale Neuordnung
Diese Welt wird derzeit neu geordnet angesichts der Unordnung von oben wie von unten. Die gegenwärtigen heißen und kalten Kriege sind Symptome einer Krise, die die Grundlage des langen Friedens (der Pax Americana) zerrinnen lassen. Bei dieser Neuordnung der Kräfteverhältnisse, wie sie sich im Krieg in der Ukraine manifestiert, geht es eben nicht um den Angriff und die Verteidigung liberaler Werte. Es ist der Kampf der rivalisierenden Herrschenden und der ökonomischen Blöcke, die sich in der Krise des neoliberalen Kapitalismus mit seinen fallenden Profitraten, Finanzblasen und Sackgassen der Verwertung wiederfinden. Wenn hierzulande versucht wird, mit einem grünen Akkumulationsregime neue Märkte zu erschließen (wie z.B. Wasserstoffproduktion u.a. in der Ukraine) und diesen Prozess massiv moralisch zu unterfüttern, ist es nicht verwunderlich, dass genau diese grüne Logik dem Krieg und seiner liberalen Menschenrechtsschutz-Rhetorik einer „feministischen“ Außenpolitik Vorschub leistet. Hier gehen Autoritarismus und eine totalisierende Moralität Hand in Hand, was schon in der Klima- und der Coronakrise ein Erfolgsrezept liberaler Herrschaft war und ist. Insofern gehören Waffenlieferungen und der Schutz der Rechte von LGBTQI offensichtlich zusammen. Antimiltarismus kann dann nur noch empathieloser Zynismus sein.
Es ist nicht verwunderlich, dass der globale Süden ganz anders auf den Ukraine-Krieg reagiert und sich in weiten Teilen nicht der liberalen Empörung anschließt: Es liegt auf der Hand, wer bei dieser Auseinandersetzung zwischen den imperialen Mächten Russland, China, EU, USA, Indien etc. ohnehin wieder den Kürzeren ziehen wird.
Wenn hierzulande Linke sich der tödlichen Logik des Siegfriedens über Russland anschließen, machen sie sich zur Kriegspartei. Auf einmal ist die Linke bereit, das Vaterland und seine Werte zu verteidigen. Eine solche Linke hat sich an den Tiefpunkt des Abscheulichen begeben. Es ist die gleiche Abscheulichkeit, der sie sich 1914 und 1999 hingegeben hat. Die einzige Perspektive, die bleibt, ist die der Desertion aus den imperialen Armeen, aus der Logik des Krieges, der nicht unserer ist.
Perspektive Non
Da sich die erbärmliche radikale Linke in ihrer Liberalität immer weiter desavouiert hat durch Klima-Appell-Politik, Absegnung autoritärer Corona-Maßnahmen und Etablierung selbiger „von unten“, einer Nicht-Positionierung oder Unterstützung grüner Waffenlieferungenspolitik, können wir gemeinsam mit ihr kein revolutionäres Begehren mehr entwickeln. Nicht nur deshalb ist eine Orientierung an den globalen Aufständen, die eben nicht von der traditionellen Linken oder ihren Parteien und Gewerkschaften hervorgebracht werden, sondern sich oftmals erst gegen sie durchsetzen müssen, für uns die einzig mögliche Perspektive antagonistischer Politik in den Metropolen selbst.
„Es ist noch zu früh, um die Folgen der Pandemie vorherzusagen, aber es steht außer Zweifel, dass die Ära der Proteste, die mit dem Wirtschaftscrash im Jahr 2008 begann, nicht zu Ende ist.“
Endnotes – Vorwärts Barbaren (Deutsche Übersetzung)
Wir sind davon überzeugt, dass die Zunahme der weltweiten Revolten und damit auch von Kämpfenden, die durch ihre dortigen Erfahrungen die Notwendigkeit der Revolte und vielleicht sogar einer Revolution nicht nur begriffen, sondern geradezu körperlich verinnerlicht haben, die Grundlage für eine notwendige existenzielle Diskussion über die Überwindung der Verhältnisse generieren. Natürlich kann ‚Revolution machen‘ nicht erlernt werden und wir können dem kollektiven Gedächtnis ebenso wenig trauen wie unseren individuellen überformten Erinnerungen. Dennoch scheinen sich die Akkumulation von Dissensen und antagonistischen Positionierungen an weltweit vielen Orten weiter festzusetzen. All das bereitet das Terrain, auf dem die zukünftigen Kämpfe ausgetragen werden, verschiedenste Identitäten sich verwirren und ein Universalismus, der über die Ruinen der Arbeiter*innenbewegung hinausgeht, sichtbar wird. Auch wenn es in den ‚Non Bewegungen‘ einen Mangel an Kohärenz gibt, ihre Verwirrung oft auf einem Verrat an dem zu beruhen scheint, was wir glauben zu sein, ermöglichen sie die Revolte gegen einen Zustand der allgemeinen Vereinzelung und Vereinsamung (der durch Digitalität und ’social distancing‘ weiter verschärft wurde): ‚Non Bewegungen‘ sind der Schmelztiegel, in dem Veränderungen in der Reproduktion der täglichen Existenz und damit des menschlichen Lebens sichtbar werden, die die Explosionen auf den Straßen, die wir global im letzten Jahrzehnt gesehen haben, möglich gemacht haben. Es sind diese Veränderungen, die die Herausbildung neuer Subjektivitäten, eines weniger panischen oder domestizierten Menschentypus, möglich machen. Denn gerade dadurch, dass die ‚Non Bewegungen‘ die Krise dieses stagnierenden Kapitalismus repräsentieren und ihre Wirkung darin besteht, diese Stagnation unregierbar zu machen, können sie den Spalt eröffnen, durch den etwas Neues in die Geschichte hereinbrechen kann. Doch wir wissen auch um die integrative Kraft des Kapitalismus, der mal mit Subversion, mal mit offener Gewalt, sich die schönsten Gesten, Forderungen und Lebensweisen einverleibt. Insofern können die weltweiten Revolten zu Revolutionen werden, sie können aber auch Teil des allgemeinen Chaos werden, aus dem sich der Kapitalismus neu konfigurieren wird.
Das große Palaver
“Die Freude an der Konspiration ist die Freude an der Begegnung, an der Entdeckung von Brüdern und Schwestern, selbst da, wo man es am wenigsten erwartet hätte.”
Konspirationistisches Manifest
Wir denken, es ist überfällig den nächsten Schritt zu wagen. Angesichts der realen Übermächtigkeit unseres Gegners in diesem Land, angesichts der tiefen Abneigung, unsere Zeit weiter an der nächsten Kampagne, dem nächsten Event, der nächsten sinnlosen Eintagsfliege zu verschwenden, angesichts der Notwendigkeit, sich im Bruch mit der staatstragenden Linken der letzten Jahre des Ausnahmezustandes zu definieren, sehen wir keinen anderen Weg, als uns zuallererst einen Ort der realen Menschen zu schaffen. Wir wissen um die zahlreichen Fallstricke, wir rechnen mit allen Bodenlosigkeiten unserer (linken) Gegner. Wir erwarten geradezu die üblichen Diffamierungen, die Zurechtweisungen.
Wir sagen aber auch, weltweit gesehen leben wir, zwar nicht in Zeiten der Revolutionen, aber dennoch in revolutionären Zeiten. Davon künden die innerimperialistischen Kriege und Konflikte (Ukraine, Taiwan, Afrika,…) ebenso wie die Revolten die sich in den letzten Jahren um den Erdball gefressen haben.
Hierzulande ist von diesen Aufbrüchen wenig zu spüren, trotzdem gibt es auch hier Revolten und Positionierungen, die uns ermuntert haben und weiter ermuntern. Von der Revolte in der Stuttgarter Innenstadt im Sommer 2020 bis hin zu den Silvesterkrawallen vor wenigen Monaten in Berlin, bei denen einige hundert Jugendliche einen der am besten ausgerüsteten und trainierten Polizeiapparate Westeuropas vorgeführt haben. Wir wissen, dass es nicht viele waren, die sich eindeutig und öffentlich gegen das Agreement von Linker und Staat im Pandemie Ausnahmezustand gestellt haben, aber wir haben jeder dieser Stimmen gespannt gelauscht in unserer aufgezwungenen Isolation und diese Stimmen haben unsere Herzen gewärmt. Wir sind an einem Punkt, wo es nichts mehr zu verlieren gibt. Jeder, der noch halbwegs bei Verstand ist, weiß um diesen historischen Punkt, an dem wir uns gerade wiederfinden. Wir hören aus allen Ecken von Menschen, die auf der Suche sind, die was anderes, was neues wollen. Wir hoffen Euch alle mit diesen Zeilen zu erreichen.
Wir laden Euch alle zum ersten NON-KONGRESS Anfang 2024 nach Berlin ein!
Wir werden uns in weiteren Kommuniqués zu Wort melden und Euch weitere Einzelheiten zum Kongress mitteilen.
Menschen und Zusammenhänge aus Wuppertal, Münster, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Offenburg.