Wir leben in einer Welt, in der sich zunehmend eine Totalität von Herrschaft etabliert, die auf der anonymisierten Vorherrschaft der Sachzwänge beruht und auf einem unter dieser Prämisse organisierten Zugriff auf das Leben, auf biopolitischen Herrschaftstechnologien, in denen sich der Nihilismus der Macht offenbart, die keine Idee mehr verfolgt. Die Konzentration auf die Selbsterhaltung, das nackte Überleben, kann paradoxerweise noch nicht einmal dieses garantieren.
In dieser Welt, die zerfällt, kommen Ideen von Faschismus, Liberalismus, Konservatismus, Kommunismus oder Anarchie nur noch im Modus ihrer eigenen Parodie daher.
Da wir keinen politischen Vorschlag zu machen, keine neue Idee anstelle der alten anzubieten haben, kann unser Ausgangspunkt im Moment kein anderer sein als das Nein, das Non angesichts dessen, was ist.
Historisch war es die Aufgabe der Linken, dieses Nein zu den herrschenden Zuständen zu artikulieren. Es wäre aber wohl nie zu diesem Kongress gekommen, ohne die drei großen Brüche, der letzten Zeit, die für mich auch einen entscheidenden Bruch mit der real existierenden Linken in der Bundesrepublik markieren:
– das Versagen der Linken angesichts der Corona-Pandemie und der staatlichen Maßnahmen: ihre Feigheit, ihre Konzentration auf das Überleben, in völliger Bereitschaft das Leben auszusetzen, ihre Untertanenmentalität, ihr Mangel an politischer Analyse, an Bereitschaft sich ergebende Freiräume zu nutzen, ihre Verachtung jeglichen Begehrens nach Freiheit
– das Versagen angesichts des Krieges in der Ukraine, die dumpfe Entscheidung für die eine oder andere Seite eines imperialen Konflikts, die Unfähigkeit, zum zweiten Mal, mit der Staatsräson zu brechen, die Aufgabe eines antimilitaristischen Standpunkts und der Verzicht auf eine politische Analyse
– das Versagen der Linken angesichts des Krieges im Gazastreifen, die Unmöglichkeit einer antinationalen Perspektive, die Unfähigkeit den Konflikt zu analysieren geschweige denn eine linke Postition einzubringen, die etwas anderes wäre als die Verdoppelung nationaler Narrative
Diese drei Versagensmomente der Linken mögen den Anlass bieten für den subjektiv nachvollzogenen Bruch mit ihr, die Gründe des Bruchs liegen tiefer. Sie verweisen auf die Unfähigkeit, ja vielleicht Unmöglichkeit ein linkes Projekt heute ernsthaft so zu artikulieren, dass es den Horizont eines möglichen Bruchs mit den herrschenden Verhältnissen aufreißt, also nicht nur auf die Notwendigkeit, sondern die Möglichkeit einer anderen Welt verweist.
Ich komme aus der sogenannten Bewegungslinken, war 10 Jahre lang Mitglied der Interventionistischen Linken. Die oben genannten Brüche waren insofern auch offenbarende Momente, weil sie nicht nur die strategische und analytische Schwäche der Bewegungslinken aufgedeckt haben, sondern auch ihre Unfähigkeit ein politisches Projekt zu artikulieren respektive die Unfähigkeit das Fehlen eines Projekts selber politisch zu bearbeiten, einen Umgang mit der eigenen Schwäche zu finden. Stattdessen wird diese Unfähigkeit durch eine permanente Beschäftigung, in der Aktivismus Analyse und Strategie ersetzt, zu überspielen versucht. Gerade so wird das, was sich heute radikale Linke nennt, zum Teil des Spektakels welches sich maßgeblich auf dem Feld der Social Media und der damit einhergehenden Bildproduktion abspielt.
Wo in der bundesdeutschen Linke überhaupt noch der Versuch unternommen wird, so etwas wie eine umfassende Strategie zu formulieren, so kommt diese Strategie nicht ohne ein imaginäre revolutionäres Subjekt aus, welches angerufen wird: die ArbeiterInnen, die Prekarisierten, die MigrantInnen, queere Menschen, denen ein objektives Interesse an einer Änderung der Verhältnisse unterstellt und mit denen oder in deren Namen nun wieder Politik gemacht oder legitimiert werden soll, ohne sich der Fallstricke einer repräsentativen Politik zu Genüge bewusst zu sein, und dass in Zeiten, in denen die Bewegungen auf der Straße, die ProtagonistInnen der Riots, die heute weltweit stattfinden, deutlich machen, dass sie jede Repräsentanz ablehnen. So schlägt das Non all denjenigen entgegen, die „im Namen von..“ sprechen wollen.
Wenn wir also heute zu einem Non-Kongress zusammenkommen, so sollte das Non meinen, zu solchen vorschnellen Lösungsversuche derjenigen, die mehr Antworten als Fragen haben, nein zu sagen, um den Raum der Fragen endlich eröffnen zu können. Solche Fragen lassen sich aber nicht aus dem Hier und Jetzt unserer gegebenen Erfahrungen einfach ableiten.
Deshalb braucht es eine historische Perspektive: Alain Badiou hat vorgeschlagen, die Geschichte der Idee des Kommunismus nach drei Ereignissen zu periodisieren, die die Möglichkeit eines grundlegend neuen eröffnet haben, Wahrheitsereignissen, in denen sich ein Subjekt konstituiert, dessen Aufgabe es ist, dieser Wahrheit die Treue zu halten. Solche Subjekte bewegen sich jenseits der Repräsentanz, jenseits von Identitäten und können nicht einfach angerufen oder durch zielführende Prozesse hervorgebracht werden. Diese Ereignisse sind für Badiou die Pariser Commune, die Russische Revolution und 1968, die jeweils eine neue Periode markieren. Sie alle sind mit einem Scheitern verbunden: Die Commune im Scheitern, die Niederlage und das sie begleitende Ermorden ihrer Subjekte zu verhindern, die Russische Revolution daran, dass der Preis ihrer Wahrheit zu organisieren, der Verrat an dieser Wahrheit war und die Zerstörung der Subjekte, die ihre Träger sein könnten.
Das Scheitern von 1968 wird dadurch markiert, dass die Auflehnung nicht nur gegen die politischen und ökonomischen Formen der Herrschaft, sondern gegen die kulturellen Formen, die die Subjekte gesellschaftlich gefangen halten, zwar die alten Formen ödipaler Herrschaft in Frage stellen, ja abschaffen worden. Der Imperativ der Herrschaft der Väter und Herren ist jedoch durch einen neuen Imperativ ersetzt worden, durch den Imperativ des Genießens: Die Herrschaft ist nicht abgeschüttelt, sondern in den Köpfen der Subjekte installiert worden. Aus der angeblichen Freiheit der Wahl ist unter kapitalistischen Bedingungen der Zwang die richtige Wahl treffen und diese auch bejahen zu müssen geworden. Aus der Ablehnung der äußeren Disziplin, die Selbstkontrolle. Aus der Gefangenschaft durch äußere Zwänge und Konventionen, die Gefangenschaft unserer Köpfe, Seelen und Körper, durch jene Normen, die wir wählen und denen wir uns unterwerfen. Aus der Befreiung von Identitäten, in die wir von außen gezwängt werden, der Zwang unsere Identität selbst zu bestimmen und dann aber auch mit ihr identisch zu werden.
Diese Neuformierung der Herrschaft hat die Bedingungen für jenes ökologisches Akkumulationsregime geschaffen, in dem wir uns heute befinden und die Subjekte geformt, die dieses Regime braucht. Wenn wir diesem das Non entgegenhalten wollen, dann müssen wir nach einem Ansatzpunkt jenseits dessen suchen: Denn die Organisation von Kollektiven, Genossenschaften, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung, Kreativität und Enpowerment haben sich alle als kommodifizierbar erwiesen. Und wir können nicht einfach davon ausgehen, dass sie widerständiges und befreiendes Potential in sich tragen, wenn sie von jenen Subjekten organisiert werden, die sich tagtäglich in die freiwillige Unterwerfung und Selbstkontrolle einüben.
Nachdem es möglich war die emanzipatorischen Aufbrüche im Zuge von 1968 zu vereinnahmen und aus ihnen eine scheinbar unerschöpfliche Ressource der Modernisierung des Kapitalismus zu machen, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit dessen, was wir den herrschenden Verhältnissen entgegensetzen können, neu: Lässt sich an einem Befreiungsprojekt, als Befreiung aller weiter festhalten? Was bleibt von der modernen Hoffnung, dass der Mensch, die Menschen fähig sind ihre Geschichte selbst in die Hand zu nehmen und zu einem guten Ende zu führen? Und, wenn wir von im Horizont solcher großen Erzählungen gar nicht mehr sprechen wollen, wie finden wir eine Alternative dazu uns den Horizont unserer Fragen, der Möglichkeiten und Grenzen nicht selber wieder von jener Totalität vorgeben und beschränken zu lassen in der wir leben?
Auch weil wir keine Ideen haben, wie eine neue Antwort auf diese Fragen lauten könnte, die die Aporien der Moderne ernst nimmt und über sich selbst hinaus treibt, haben wir zu einem NON-Kongress eingeladen, indem wir an einem Antagonismus festhalten wollen, dessen Artikulation uns gleichzeitig praktisch wie theoretisch so schwierig erscheint. Auch deshalb also ein Non Kongress, weil wir glauben, dass vieles nicht möglich ist, was einen linken Kongress klassischerweise auszeichnen würde: eine öffentliche Intervention, das Finden einer gemeinsamen Strategie, ein Prozess der Organisierung, das Planen gemeinsamer Aktionen…All das einfach trotzdem zu tun, weil es die politischen Notwendigkeiten von uns verlangen, hieße unsere eigenen Fragen nicht ernst zu nehmen. Es nicht zu tun, muss aber so getan werden, dass es nicht unsere Kapitulation vor der Übermacht der Verhältnisse bedeutet.
Der Non Kongress ist also ein Ort, wo die Splitter aufgesammelt werden können, ein Ort für die Unzufriedenen, Ratlosen, Fragenden, nicht für Resignierte: Es geht uns also darum, einen politischen Kongress zu machen, in Zeiten, in denen wir glauben, dass ein politischer Kongress unmöglich ist, ja, in denen wir nach der Möglichkeit von Politik selbst fragen.
Das Ende der uns geläufigen Formen linker Politik lässt mit erneuter Dringlichkeit die Frage danach auftauchen wie das Politische, die Revolution als Unterbrechung der herrschenden Ordnung gedacht werden könnte. In Zeiten einer sich zunehmend biopolitisch als Herrschaft über das nackte Leben konstituierenden Macht erscheint Politik nur möglich im Kampf um ein Leben, das sich diesem biopolitischen Zugriff widersetzt. In diesem Sinne wird die Frage nach Politik nicht nur zu einer Frage nach der Möglichkeit des guten Zusammenlebens der Menschen, sondern nach den Möglichkeiten des Lebens selbst, jenseits seiner Maschinisierung und biopolitischen Unterwerfung.
Dies bedeutet, nach Orten Ausschau zu halten, in denen etwas von einem solchen Leben aufscheint, einem Leben, das sich der Verwaltung, Einhegung genauso entzieht wie der im Virtuellen stattfindenden Simulation von Leben. Etwas von diesem Begehren nach Leben meinen wir in jenen globalen Aufständen zu entdecken, die seit Beginn des Jahrtausends mit neuer Intensität rund um den Globus aufflackern. Nicht nur in der Wut, die sie den herrschenden Verhältnissen entgegenschleudern, sondern auch in den in ihnen entstehenden Möglichkeiten die Organisationsformen des Alltags, welche unsere Leben beherrschen aufbrechen zu lassen und neue Formen der Organisation und Reproduktion des Lebens für einen kurzen Moment aufscheinen zu lassen, erkennen wir etwas vom Horizont, der im Bruch mit dem Gegebenen aufreißt.
Nicht zuletzt hat uns die Diskussion um eben jene Aufstände der Non-Bewegungen, die eben keine klassischen Sozialen Bewegungen mehr sind, weil sie keine politische Forderung der Bvölkerung oder eines Teils dieser Bevölkerung dazu inspiriert, einen Non Kongress zu veranstalten: nicht weil wir uns einbilden würden, wir könnten so die Non-Bewegungen adressieren und zusammenrufen. Wohl aber, weil wir denken, dass wir nach diesen wirklichen Bewegungen zu fragen haben, die geeignet sind, den herrschenden Zustand zumindest für einen Moment zu unterbrechen.
In diesem Bezug auf die Non-Bewegungen muss er aber darum gehen genau jenen Fehler zu vermeiden aus ihnen nun wieder jenes revolutionäre Subjekt zu machen, auf die wir unsere Politik beziehen wollen. Die Non-Bewegungen verweisen vielmehr auf die Ablehnung einer Reproduktion von Politik, Identitäten und Demokratie, auf den Verzicht auf jede Repräsentation und offenbaren die Leere jenes Spektakels, das sich in der Sphäre des Öffentlichen und Politischen alltäglich vor unseren Augen abspielt. Sie dazu zu benutzen, um jene Leerstelle, auf die sie verweisen nun mit ihnen selbst wieder zu füllen, würde heißen, die Infragestellung von Identitäten misszuverstehen.
Das Non, von dem wir in den nächsten Tagen sprechen wollen, verweist nämlich auch darauf, dass wir nach einem Jenseits der Identitäten zu suchen haben. Denn in vielleicht nichts anderem zeigt sich die Konsitution der Herrschaft, mit der wir es zu tun haben, deutlicher als in ihrer Fähigkeit eine ungeheure Diversität an Identitäten zu erschaffen, Kategorien und Schubladen, die als Angebote daher kommen und uns Freiheit suggerieren, weil sie eine Wahl ermöglichen, ja uns in diese Wahl hineinzwingen wollen. Sei, was du bist, sei, was oder wer du sein willst, aber sei es wirklich, sei, für wen du dich selbst hältst! – lautet sein verführerisches Angebot.
Dieses Identitätsangebot mit seiner Verführung uns einem in uns selbst liegenden Ideal zu verpflichten, das uns an das kettet, was wir sind und geworden sind, behindert uns an die Grenzen des Möglichen und Denkbaren zu gelangen, einen Horizont zu eröffnen, der alle Kategorien aufsprengt und damit eine Unordnung schafft, in der die Welt sich neu zusammensetzen lässt.
Wagen wir also das Non
– jenseits unserer festgefahrenen Begriffe
– jenseits des Klammerns an Identitäten
– jenseits des Zwanges zur konstruktiven Positivität
Stellen wir uns der sich ausbreitenden Leere und wagen wir endlich Fragen zu stellen, auf die wir die Antwort noch nicht kennen!