Bulletin No. 4

mit

Vorwort zu Ökologie und Ökonomie

und im Anhang

  • Zeit der Ökologie. Das neue Akkumulationsregime – Kurzfassung (zur Langfassung hier lang: https://inferno.noblogs.org/)

  • Achim Szepanski: Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe

  • Jason W. Moore: Das planetare Proletariat im planetaren Inferno

Bulletin No. 4 (pdf)

Ökologie und Ökonomie

Ganz ehrlich, wer angesichts des ungeplanten Produktionsstopps bei Tesla nicht wenigstens eine klammheimliche Freude verspürt hat, muss schon sehr tief in irgendeinem Propagandasumpf feststecken. Entweder in dem arbeitsfetischsozialistischen à la Jacobin, denen vermutlich auch zu einer Fabrik die Kinderriegel aus Kindern herstellt, nichts anderes einfallen würde, als die dortigen Beschäftigten für Lohnforderungen zu organisieren, oder in dem elektrogrünen, der lieber nicht in die Untiefen einer Lithiummine hineinschauen will, solange die CO-2-Bilanz trotzdem stimmt. Uns jedenfalls erscheint eine Sache noch bemerkenswerter, als die Quantität einer Schadenssumme, nämlich die Qualität einer Tiefe und Kompromisslosigkeit, die aus dem Angriff und der veröffentlichten Erklärung spricht. Es geht nicht darum mit irgendwem über den Ausbau von Produktionskapazitäten oder Umweltauflagen zu verhandeln und deswegen braucht es auch weder den “Druck von der Straße” noch die Sichtbarmachung von Bewegungsforderungen, was der politische Hauptinhalt der Klimagerechten in der BRD wie international zu sein scheint. Es geht darum, kaputtzumachen, was uns kaputt macht. So einfach und so schwer. Wir glauben nicht, dass Theorie Praxis ersetzen kann. Aber wir glauben, dass es eine Theorie braucht, die ebenso radikal, tiefgehend und kompromisslos ist. Um tiefer zu graben, als an der Oberfläche des grünen Tesla- Kapitalismus, braucht es die Auseinandersetzung, mit dem Begriff der Ökologie.

Zeitalter der Ökologie

Wir haben den Eindruck, an einem Epochenumbruch zu stehen. Die Welt des postmodernen Spätkapitalismus verabschiedet sich von den bisherigen Gesellschaftsformationen und eröffnet neue Möglichkeiten der kapitalistischen Verwertungsmöglichkeiten. Ist die Entscheidung zu einem neuen Zeitalter bereits gefällt? Wird schon den Beharrungskräften der alten Welt zum Trotz ein Horizont sichtbar, der das Gesicht des Bestehenden verändern könnte? Am Horizont ziehen die absehbaren Katastrophen und Kollapse einerseits auf, zugleich aber auch die neuen blühenden Felder einer nachhaltig bewirtschafteten, grünen, digitalisierten Welt eines modernisierten Kapitalismus.

Was der gegenwärtigen Rationalität entsprechen würde, ist, dass dieses neue Zeitalter das der Ökologie werden könnte – ein Zeitalter der Regulation der Lebenswelt und der intensivierten Objektivierung der Natur.

Angesichts der Profitabilitätskrise des neoliberalen Akkumulationsregimes könnte die Ökologie jede enthemmende Legitimation schaffen, um die Begrenzungen des Kapitalismus auszuweiten:

„Die Ökologie führt die Frage nach dem Zweck einer Regulierung der biologischen Zyklen und Gleichgewichte ein. Sie versteht sich als ein Bewusstsein für unsere Umwelt. Im gleichen Atemzug gesteht sie unsere gegenseitige Abhängigkeit von den Ökosystemen ein, die wir zerstören. Die politische Geste dieser Ökologie ist der Versuch, die Ökosysteme zu erhalten. Mit anderen Worten: Die politische Ökologie ist der affirmative Versuch, Solidarität und unsere Verantwortung gegenüber der Welt in einer bestimmten Art und Weise zu bekräftigen, die Biosphäre in einen Organismus zu verwandeln. (L’écologie, économie contre la vie, https://entetement.com/lecologie- economie-contre-la-vie/) Diese Anrufung der Verantwortung gegenüber der Welt und in ihr des Überlebens der menschlichen Spezies verschleiert einerseits die Kontinuität von (neokolonialer und patriarchaler) Gewalt und Zerstörung und trägt andererseits durch die Formung der Subjekte dazu bei, dass neue Verwertungsmöglichkeiten für das derzeit krisenhafte Kapital entstehen. Dies produziert „das Begehren, diesmal die Grenzen des Kapitalismus nicht nur auszudehnen, sondern aufzuheben. sich unabhängig zu machen von allem Materiellen, von Energieträgern, Rohstoffen, Körpern, dem eigenen, aber vor allem von den Körpern der Ausgebeuteten und Unterdrückten, am liebsten unabhängig zu machen von dem Leben und der ganzen Welt. Am radikalsten artikuliert sich

dieses Begehren in den Projekten des Transhumanismus, es findet sich aber auch in der grünen Ideologie und der eng damit verknüpften Digitalisierung bzw. Algorithmisierung.“ (Aus der brennenden Hütte: Zeit der Ökologie. Das neue Akkumulationsregime, https://inferno.noblogs.org/files/2024/01/Zeit_der_Oekologie-ADBH.pdf, S. 31f.)

Ökologie und Mensch-Natur-Verhältnis

Das Dispositiv der Ökologie kann nicht auf einen gesellschaftlichen bzw. ökonomischen Umgang mit der Umwelt reduziert werden, sondern es basiert vielmehr auf der bürgerlichen Trennung zwischen Mensch und Natur, die seit der Aufklärung vorherrscht. Der Darwinist Ernst Haeckel schuf 1866 den Neologismus „Ökologie“ aus den griechischen Wörtern oikos und logos, um eine wissenschaftliche Disziplin zu bezeichnen, die sich mit dem Studium der natürlichen Lebensräume lebender Arten befasst. „Es ist kein Zufall, dass dieser Neologismus aus der Wurzel oikos gebildet wurde. Wenn die Wirtschaft eine Wissenschaft der Verwaltung und des Managements durch Berechnung ist, ist die Ökologie nicht einfach das, was die Wesen mit ihrer Umwelt verbindet, sondern die Verwaltung dessen, was sie verbindet. Was die Disziplin der Ökologie prägt, ist die politische Ökonomie.“ (L’écologie, économie contre la vie, https://entetement.com/lecologie- economie-contre-la-vie/) Francis Bacon definierte den Zweck der Wissenschaft als eine Beherrschung der Natur zum Wohle der Gesellschaft und so ist im Denken der kolonialen und patriarchalen Moderne die Natur folgerichtig nichts anderes als eine ausbeutbare Ressource. So kann man sagen, dass die aufklärerische Verdinglichung der Natur die Ökologie als Wissenschaft vom Zugriff auf die Natur hervorbringt. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Ökologie im Allgemeinen gleichgesetzt mit Naturschutz. Auf diese Weise wurde politisch der Schutz der Natur und des Lebensraumes zum zentralen Legitimationsmodus einer neuen Konfiguration von Ökologie als „Umweltmachen“ (die Natur und der Mensch als Teil von ihr wird zum kybernetischen Beziehungssystem bzw. zur Maschine), die genau diese aufklärerische Objektivierung und Verwertung auf neue Art fortsetzt. Die Konsequenz ist dann schließlich, dass nur ein mickriges Subjekt übrig bleibt: „Die Weltherrschaft über die Natur wendet sich gegen das denkende Subjekt selbst“. (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung.

Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 2001, S.32)

Katastrophismus

Eingeschrieben in das Zeitalter der Ökologie ist der Katastrophismus in Verbindung mit der technologisch-instrumentellen und patriarchalen Vernunft, der die Legitimität für neue Formen der Herrschaft weckt, die von den ökologischen Subjekten bereitwillig reproduziert werden. Denn als Verheißung kann diese heraufziehende ökologische Zukunft nicht begriffen werden. Auch die kreativsten Think Tanks kommen nicht umhin, sich für neue Formen von Ausnahmezuständen und Sicherheitspolitiken zu rüsten, angesichts unregierbar werdender Zonen und der geopolitischen Konkurrenz um den notwendigen Extraktivismus von Ressourcen sowie den verbleibenden nicht kapitalisierten Bereichen des Lebens.

Im Katastrophismus ist die Gegenwart der Übergang von der Vergangenheit in eine schlechtere Zukunft im Untergang der Menschheit. Dies macht eine Auf-Dauer-Stellung der Gegenwart vermeintlich notwendig – die Möglichkeit zur Unterbrechung der Gegenwart erscheint mit einem technologischen Solutionismus-Fetisch undenkbar, ist doch das Kontinuum der Gegenwart die Katastrophe.

Vor dem Horizont des ökologischen Katastrophismus stellt die Ökologie sich als ein beängstigendes

„entweder … oder …“ dar: entweder Aussterben der Spezies oder ökologische Erneuerung. „In diesem Sinne wird niemals die Erfahrung der Katastrophe vermittelt, sondern deren Phantasie. Interessanterweise steht das Subjekt nie dem Objekt der Gefahr gegenüber, sondern nur seiner Ankündigung, deren Formulierung im Eifer des Gefechts die Abwesenheit des Objekts – da es noch nicht da ist – in eine abstrakte Präsenz mystifiziert. Tatsächlich verfehlt die Ankündigung der Katastrophe die Katastrophe (sie kündigt sie nur an), und in der Notsituation verschmilzt die Ankündigung mit der Katastrophe (obwohl sie noch gar nicht da ist). Ihre Erfahrung ist immer nur

die der Ankündigung. Sie verfehlt also das angestrebte Objekt. Dennoch wird die Angst sehr wohl empfunden, und es wäre schrecklich, sie zu leugnen.“ (Écologie et pouvoir, https://entetement.com/bifurcation-dans-la-civilisation-du-capital-ii/)

Den Katastrophismus zu hinterfragen und abzulehnen, bedeutet auch, unsere tatsächliche Handlungsfähigkeit in Frage zu stellen und darüber nachzudenken, wo die Ohnmacht uns sowohl zu einem aufopferungsvollen Aktivismus als auch zu einem Reformismus verleitet. „Angesichts des Klimawandels wird die Praxis durch den ständigen Appell, auf Wissenschaftler zu hören, und die Abschottung des Denkens gegenüber den Institutionen des Wissens in Wirklichkeit dazu aufgefordert, sich von der Theorie zu lösen und sich in einem Aktivismus zu verlieren, der angesichts einer Dringlichkeit, die ihn übersteigt, immer unmittelbarer handeln muss.“ (ebd.)

Die Ökonomie der Ökologie

Ob wir auf die Atacama-Wüste im Lithium-Dreieck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile schauen, oder auf die Bayan-Obo-Mine, in der die Seltenerdmetalle für Windturbinen und Solarpanels gefördert werden. Dass die neue Form des Kapitalismus nur in seiner PR grün ist, ist ein alter Hut. Alles beim alten also, oder ändert sich nicht doch etwas? Was bedeutet es, wenn jeder Ort der Erde eine potentielle Fläche für Solarpanels (wie in der Sahara) und Windräder oder Wasserstoff (wie in der Ukraine) ist, und es in Zukunft so viel mehr davon brauchen würde, um kapitalistisches Wachstum erneuerbar zu machen? Auf jeden Fall sehen wir eine Ausweitung territorialer Kämpfe in den Regionen, die zerstört werden, um den globalen Norden sauber und nachhaltig zu machen. Und so sehr wir den geopolitischen Blick auf die Welt verachten mögen, so stark spüren wir die Auswirkungen der Neuordnung der internationalen Beziehungen auf unser Leben, ob als kapitalistischer Krieg oder Frieden.

Jedenfalls scheint uns die grüne Transformation des Kapitalismus aus mehr bestehen, als nur einem Austausch seiner Energieträger. Dies bringt uns zu der Frage zum Zusammenhang von Digitalisierung und Ökologie. Am Horizont sehen wir schon smart green cities, die von der korrekten Mülltrennung bis zur effektiven Verkehrsplanung unser Leben unter einem ökologischen Paradigma organisieren. Viel zu wenig haben wir bisher diskutiert über Biotechnologien und die Kontrolle der Reproduktion. Wer sorgt dafür, dass die Entwicklung und Vermarktung grüner Technologien eine so zentrale Rolle spielen, wer investiert eigentlich in die ganzen Risikotechnologien der Zukunft und wie verändert sich darin eigentlich das Verhältnis zwischen Staat, High-Tech-Konzernen, Finanzialisierung und Markt?

No future?

Wäre es nicht langsam an der Zeit, die Rettung der Welt vor dem Klimakollaps aufzugeben? Nicht in erster Linie, weil das Unterfangen aussichtslos oder die Zeit zu knapp erscheint, sondern auch, weil die Programme dieser Rettung immer auf staatliche Autorität oder technologische Macht setzen. Ob als Umweltdiktatur oder futuristisches Geo-Engineering, ist das einzige was sie retten, die Kontinuität von Unterdrückung und Ausbeutung. Vielleicht sollten wir also aufhören so zu tun, als könnten oder müssten wir diese Welt retten und lieber darüber reden, wie wir in ihr leben und kämpfen, wenn alles um uns herum zusammenbricht? Vielleicht ist schon die Frage falsch, ob die Welt als Ganzes untergeht oder nicht, und wir müssten vielmehr auf die Ungleichzeitigkeiten schauen, die hochtechnologisierte kapitalistische Enklaven inmitten der verwüsteten Territorien produzieren und in beiden die entstehenden Räume für Kämpfe um Befreiung suchen?

Entgehen wir mit einer solchen bewussten Desillusionierung der Falle, in die uns die bewegungslinke Mobilisierung der Hoffnung so oft geführt hat? Und wie konfrontieren wir auf diese Art einen kapitalistischen (Öko-)Katastrophismus, der das Szenario des Untergangs für seine falschen Alternativen nutzt?

Als Texte zur weiteren Lektüre und Diskussion haben wir die Folgenden in unser Bulletin Nr. 4 aufgenommen:

  • Zeit der Ökologie. Das neue Akkumulationsregime Kurzfassung (die Langfassung kann hier abgerufen und gedruckt bestellt werden: https://inferno.noblogs.org/)

  • Achim Szepanski: Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe

  • Jason W. Moore: Das planetare Proletariat im planetaren Inferno

Weitere Texte können wir zur Diskussion empfehlen:

Dieser Beitrag wurde unter Bulletin No. 4, Bulletins, General, News veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.