1. Ich schlage eine Organisationsform vor, die sich an der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) von Marx, also der 1. Internationale orientiert. Das ist aus meiner Sicht für unsere Zeit, in der es so gut wie keine widerständige Organisierung der Menschen in ihren Lebensverhältnisse und stattdessen eine quasi vollständige ideologische Integration gibt, und aber auch die Linke letzten Endes affirmativ ist, als die geeignete Organisationsform für unsere Zeit. Es würde bedeuten, eine ideelle Assoziation aufzubauen, die ihre Mitglieder (Einzelne, Gruppen, …) rein aufgrund ihrer revolutionären Gesinnung assoziiert und nicht aufgrund einer Praxis ihrer Mitglieder oder in der Zielsetzung einer kollektiven Praxis der Assoziation. Sie würde sich rein ideell positionieren, um eine Kritik der Totalität (im Sinne einer an den Gegenständen durchgeführten Kritik oder kritischen Analyse) überhaupt verfügbar zu machen. Sie würde zum Beispiel, aus einer Perspektive der Kritik der Totalität, Stellungnahmen zu aktuellen politischen Ereignissen (Corona, Ukraine, Gaza, Aufrüstung), allgemeinere Hintergrundanalysen oder Solidaritätsadressen für radikale Kämpfe veröffentlichen (berühmt zum Beispiel Marx‘ Solidaritätsadresse für die Pariser Kommune). Anders als aktuelle linke Gruppen wären die Adressatinnen dieser Assoziation allerdings nicht die Linke, sondern relativ allgemein die Menschen, und es geht darum, die Bedingung der Möglichkeit für einen Bewusstseins- und Reflexionsraum für eine Kritik der Totalität zu schaffen. Sich an der IAA als historischem Vorbild zu orientieren, bedeutet nicht, sie vollständig zu kopieren. Zum Beispiel könnte der Begriff der Unterdrückten nicht „die Arbeiterklasse“ sein, sondern müsste eher diejenigen Lebensverhältnisse bezeichnen, die nicht im immanenten Funktionieren des Systems aufgehen (zum Beispiel das Surplus-Proletariat).
2. Ich sehe die tendenzielle Gefahr, dass das Non als Frage der individuellen Existenz, als Verweigerung am Mitmachen interpretiert wird. Das Problem ist, das ein bloßes Nein-Sagen zum Bestehenden, wie kompromisslos auch immer, tatsächlich keine radikale Negation ist, sondern nur eine Existenzweise, die die Negation kultiviert und nur pseudoradikal ist. Das hat früher zum Beispiel Herbert Marcuse als „Große Weigerung“ propagiert und es wurde unter anderem von Hans-Jürgen Krahl entsprechend kritisiert. Das Argument ist: Jede abstrakte Negation ist, mit Hegel, in Wirklichkeit keine Negation, sondern affirmiert den Gegenstand. Eine abstrakte Negation ist ein bloßes Ablehnen, das Bestehen auf dem Nein. Nur eine bestimmte Negation, die sich in der konkreten Kritik durch den Gegenstand und seine Widersprüche durcharbeitet und das Funktionieren der kapitalistischen Totalität durch diese Widersprüche hindurch darstellt, ist eine wirkliche Negation. Dies haben die gegenständlichen Analysen des Kongresses (zum Beispiel ökologisches Akkumulationsregime) gemacht, aber in der Frage nach dem „Was tun?“ sehe ich die Tendenz, in eine bloße Existenzweise zu verfallen, in eine bloße Haltung der Negativität. Deutlich wird dies auch an dem verwendeten Vokabular: „radikal“, „kompromisslos“, „entschieden“, „oberflächlich“ (statt „tief“). Radikalität und Kompromisslosigkeit kann ich nicht erreichen, indem ich sie beabsichtige oder mich dazu entscheide, sondern nur in der gegenständlich durchgeführten Kritik (und ggf. Praxis). Diese Frage der revolutionären Existenz müsste materialistisch gewendet werden zu einer Frage der Lebensform von revolutionären Intellektuellen: Man entscheidet sich bewusst gegen mögliche Vorteile für sich selbst und die Partizipation am System, also insbesondere gegen eine Karriere in intellektuellen Berufen, auf denen man sich notwendigerweise kompromittieren muss (zum Beispiel Journalismus, Akademie), aber nicht um der radikal-negativen Haltung, sondern des revolutionären Projekts willen, oder man reizt die intellektuellen Berufe soweit es möglich ist aus, jedoch immer bereit, sie auch aufs Spiel zu setzen.